Good Bye Pork Pie Hat – Oder was Pop ist #1

Via Perlentaucher

„Sinatras Größe war eine kosmopolitische Form des Blues, eine Mischung aus dem Rückzug der Minderheiten in die Abwehrhaltung des Cool und der abgeklärten Erkenntnis, dass eine Verheißung kein Geschenk, sondern eine Herausforderung ist. Eine Altersversicherung, mit der man sich aus der Kurzlebigkeit des Pop in die Unsterblichkeit des Glamours retten kann, war das American Songbook aber nie.“

So Andrian Kreye, der, wie EFEU – DIE KULTURRUNDSCHAU beim Perlentaucher der SZ entnahm, „über die Versuche alternder Popstars (aktueller Fall: George Michael), mittels Bearbeitungen von Stücken aus dem Great American Songbook in die Fußstapfen Frank Sinatras zu treten, nur müde lächeln“ könne.

Mir vergeht allerdings schon seit langem das Lächeln. Wenn ich nur an Robbie Williams denke, der bekanntlich eine besonders große Fangemeinde in Deutschland hat, wird mir einfach nur schlecht. Wird er dafür gefeiert, dass er Sinatra nachsingt? Wäre plausibel – wenn überhaupt jemand letzteren kennen würde. Kennt aber keiner, denn sonst würde ja bemerkt werden, wie affig das ist, was da veranstaltet wird.

Warum wird so einem Darsteller ohne Rolle erlaubt, sich an dieser großartigen Tradition zu vergreifen? Denn, für alle, die es nicht wissen: Hallo! Pop hat eine Tradition, Pop hat eine Geschichte, Pop ist Geschichte! Wie Karl Bruckmaier es formulierte, die Formen des Pop seien Ende d. Sechziger/Anfang d. Siebziger bereits ausgereizt gewesen (im Corsogespräch am 22.04.2014 im dlf), stimmt es zwar nicht, denn in den Achtzigern gab es noch einmal einen gehörigen Schub, es gab eigenständige Songideen, ich meine richtige Songideen, Melodien, … die Liste wäre zu lang und würde zu Disparates enthalten, als dass der Versuch, hier Beispiele zu listen, repräsentativ sein könnte …, aber was die heutige Situation schon seit Jahren kennzeichnet, ist angegeben: Es wird sich ausschließlich aus diesem Fundus bedient.

Eben dies meine Diagnose seit Jahren, gut und gerne einem Jahrzehnt oder länger. Es jedoch in der Konsequenz, dass der Pop – ähnlich dem Jazz – ein Stil ist (oder besser war), habe ich mich bisher nicht getraut, öffentlich zu formulieren. Ein „Stil – der in der Zeit von … bis … gespielt wurde“, wie eine gängige Definition des Jazz lautet, die bezeichnenderweise ungefähr denselben Zeitraum als Endphase angibt.

Wie gesagt, angesichts der Lage der Popmusik seit etwa 10 Jahren muss Pop (als Phänomen, das mit populärer Musik verquickt ist) verstanden werden als historisches Phänomen. Dieser Pop, den ich „Klassischen Pop“ nenne, kann deskriptiv als Stil gefasst werden; dies wäre angemessen, weil am Ursprung (eben weißer, populärer Musik für Jugendliche) ein Traditionsbruch stand und viele Missverständnisse musikalischer Art Pate standen.

Die Missverständnisse: Unisono gespielte Riffs (wie etwa in „You Really Got Me“), oder man denke auch an die sog. Power-Akkorde (im Hard Rock, Metal etc.), als bekanntestes Beispiel sei vielleicht das Riff von „Somke On The Water“ von Deep Purple genannt (das allerdings im Original in Quarten und nicht in Quinten oder gar als Barré-Akkord – wie es jeder Anfänger als Folge solchen Missverständnisses unvermeidlich tun wird – gespielt wird). Diese Beispiele stammen aus England, und zur Entschuldigung kann immerhin angeführt werden, dass man es nicht besser wusste. Aus Missverständnissen und Irrtümern, aus Fehladaptionen entsteht manchmal etwas Neues, ich will das gar nicht bewerten. Ich muss allerdings zugeben, dass sich mir bei You Really Got Me“ wie auch bei „Sunshine of Your Love“ (Cream) ziemlich die Zehennägel hochbiegen.

Eine solche Verwendung von Riffs hat es im R&B etwa nie gegeben. In Afrika hören wir nie Barré-Akorde sondern immer Arpeggios bzw. Akkordzerlegungen (die südafrikanische Popmusik vielleicht mal beiseite, müsste ich nochmal nachhören).

Anders als dass sie gattungsspezifisch lediglich deskriptiv als „Stil“ aufgefasst und beschrieben werden könnte lässt sich schwarze Popmusik aus ihrer jeweiligen Entstehungsgeschichte verstehen, jedenfalls soweit ich im Moment sehen kann. Musikalisch gesehen haben wir es also mit Stilen auch im engeren Sinne zu tun, ganz ähnlich dem Jazz und bekanntermaßen viele Elemente desselben weitertradierend. Heute Nachmittag werde ich nicht weiter ausführen, dass und inwiefern Pop Jazz und Jazz Pop ist, heute nicht, ich möchte darauf aufmerksam machen, dass der Pop im herkömmlichen Sinne seinerseits immer wieder Stilelemente, deren Herkunft sich ohne Umstände als aus dem Jazz und jazzverwandten Stilen stammend zurückverfolgen lassen, aufgegriffen hat, mal mehr, mal weniger gelungen, dass aber einerseits es nicht ausreichen würde, im Sinne eines back to the roots solche Beispiele ausfindig zu machen, wo dies besonders gelungen ist, um beispielhaft „Pop“ idealtypisch zu definieren, denn bei Pop handelt es sich um eine durch und durch heterogene Kunstgattung, und andererseits in musikalischer Hinsicht Pop sich nicht als Geschichte einer Fehlentwicklung aus Missverständnissen und banausenhaften Appropriationen beschreiben lässt, denn wesentlich am Pop ist eben seine Heterogenität. D.h. dass alle möglichen Elemente aufgegriffen werden.

So gesehen wäre eine Beschränkung, um die Pop-Ära zu bezeichnen, auf die Jahre, sagen wir, von 1956-1975 zu willkürlich. Auf die Achtzigerjahre habe ich ja bereits verwiesen. Dennoch sage ich, dass Pop eine Gattung ist, deren Geschichte – wie es z.z. aussieht – aufgehört hat. Dies nicht bloß etwa deshalb, weil wir sonst einen Sammelbegriff hätten, dessen Umfang willkürlich erweitert werden könnte (oder wieder verengt, wie es de facto leider einige der elaboriertesten Theoretiker tun), sondern weil es noch etwas Hinzukommendes geben muss, wenn wir denn überhaupt sinnvoll von Pop sprechen wollen, ohne dass jeder und jede fürderhin immer nur ihr oder sein jeweiliges Süppchen kocht und dabei einem Pop-Begriff an- oder besser nachhängt, der mehr mit persönlichen kontingenten Gründen zu tun haben wird als mit der in Frage stehenden Sache selbst (wie selbst bei den elaboriertesten Vertretern es der Fall zu sein scheint).

Pop ist also nicht nur ein Stil – wie es beim Jazz und jazzverdandten Stilen umso mehr der Fall ist. Wobei es sich bei letzteren um eine Tatsache handelt, die wiederholt von jenen Kritikern übersehen wird, die insbesondere Pop, aber auch Jazz, ausschließlich unter kulturindustriellen Gesichtspunkten behandeln. Ursächlich hierfür ist gattungsgeschichtliche Unwissenheit, die dann immer wieder offenbar wird.

(Wie bei Robbie Williams-Verehrern und Verehrerinnen – oder bei dem unsäglichen Hype um Jan Delay, dazu ein andermal mehr – handelt es sich auch hier um eine tiefgreifende Unkenntnis der Tradition, der Geschichte.)

Nun, dieses Mehr mit einem Wort zu benennen wäre zu simpel; es müssten Erläuterungen folgen, die ich aber heute nicht mehr geben werde. Nur soviel: Wenn es Grashüpfer-Diskurse, wenn es einen Ostereier-Diskurs gäbe, dann wäre am Ende sogar eine contradiction in terms wie „Diskurs Pop“ denkbar, denn dann wäre mit der gleichen Berechtigung Pop-Diskurs möglich.

Nehmen wir das letzte Album von Tocotronic: Ich gestehe besser gleich ein, dass ich nicht sicher bin, ob nicht doch bei mir etwas Häme mit hineinspielte, aber ich freute mich. Endlich! Endlich waren sie im Pop, im Pophimmel angekommen! Denn der Pop bietet seiner Heterogenität wegen geradezu himmlische Möglichkeiten – bis zum Banalen und Willkürlichen ist (fast) alles möglich.

Wieviel unbeabsichtigt Schräges war dagegen doch bei früheren Aufnahmen noch dabei gewesen! Dahingestolperte Übergänge, wenn etwa die Band aus dem Takt kommt, sobald der Sänger anfängt zu singen, dergleichen kam nun nicht mehr vor. Endlich beherrschten sie das „Material“, das Pop-Material, wie etwa „Wir sind Helden“ – oder wie dergleichen Bands heute heißen. „Handwerk“ in diesem Sinne muss nicht schlecht sein; und von heute aus gesehen, davon ausgehend, wie sie heute klingen, werden die früheren Aufnahmen in diesem Kontrast plötzlich camp! Zitternd vor Ergriffenheit von der eigenen Wichtigkeit einander aus dem Konzept bringend, sich verhaspelnd, stolpernd, wie jener Tausendfüßler, dem die ungeheure Tatsache seiner tausend Beine bewusst wurde und der seitdem keinen Schritt mehr zu tun vermochte, doch dann nur immer noch überzeugter von sich selbst, was sage ich, im Rückblick geradezu fanatisch: Das ist Pop !

PS Unter einem anderen Aspekt

Hut_Pork_Pie

werde ich mich wohl, was eigentlich schon hier geplant war, Jan Delay widmen: Good bye Pork Pie Hat. Und traditionsbewusst, insbesondere wie Traditionen hier lokal betrieben werden, möchte ich auf Stefan Gwildis verweisen: In einem anderen Sinne „Handwerk“ – R&B, deutsche Texte … Big-Band geht auch, ohne gleich anscheinend zu glauben, in die Fußstapfen von irgendwem treten zu müssen.

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Karl Bruckmaier: The Story of Pop. Murmann Verlag, Hamburg 2014