Bildgebendes Verfahren: Ich habe „komponiert“! (Ein Werkstattbericht) -2 x edit: aber vorsicht, aus der Werkstatt des Dilettanten! und später Erkenntnis

Genau genommen habe ich nicht eigentlich komponiert, ich habe arrangiert. Lover Man, eine Ballade bekannt durch Billie Holiday und zwei Aufnahmen des späten Charlie Parker, eine mit Streichern, hatte sich verwandelt in ein einfaches Gitarren-Riff, an der Gitarre orientiert, wie ich sie von Wilson Pickett kenne, mit einer recht freien Interpretation der Akkorde vor der Kadenz am Ende der Strophe. Jetzt sollte es einen stampfenden Rhythmus geben, das Stück sollte ziemlich „bluesig“ sein und es kam kein Major-Akkord mehr vor. Nur der Zwischenteil oder der Refrain:

I’ve heard it said
That the thrill of romance
Can be like a heavenly dream

When I go to bed I pray
That you’ll make love to me
Strange as it seems

Wie war das in einem Stück unterzubringen, das „soulig“ klingen sollte? Zum 6/8-Takt überzugehen, wäre eine Möglichkeit, wenn auch nicht gerade typisch für den Soul, es bliebe jedoch das Problem mit den Harmonien, die so nicht für ein Soul-Stück adaptierbar sind, wie ich fand. Um die Original-Changes (oder eine der vielen Varianten) zum Klingen zu bringen und wenn es irgend natürlich klingen sollte, musstest du schon ein wenig Jazz-Praxis draufhaben. (Am besten sich unterschiedliche Versionen heraushören, so „werkgetreu“, wie es geht!) Ohne Keyboarder würde es da schwierig werden; die Harmonien müssten auf verschiedene Weise gespielt, variiert, interpretiert werden, und die Gitarre bietet hierfür gegenüber dem Kalvier nur begrenzte Möglichkeiten. Es muss sich ein Gefühl der Freiheit einstellen – noch so schön die Harmonien vom Blatt zu spielen würde gegen alle Prinzipien jeden jazzverwandten Stils verstoßen und hölzern, schematisch klingen. Und jetzt plötzlich, um das Stück zu retten, jazzig klingen wollen mit diesem Gitarristen, der zwar alles von AC/DC spielen und singen kann, auch – heutzutage eine über alle Maßen brotlose Kunst – von Whitesnake et al, alle Soli, alle Texte, alle Arragngemants, dem aber sicherlich nicht zuzumuten war, einen fähigen Jazz-Pianisten zu ersetzen? Davor würde ich mich überhaupt erst einmal allein mit diesen Soulideen durchsetzen müssen.

Nachdem ich geübt hatte, die Melodie in Kombination mit den Harmonien zu spielen, war mir dieses „soulige“ Riff für die Gitarre eines Morgens in der Küche „passiert“. Ich hatte, um die Melodie, die mir rhythmisch immer Schwierigkeiten bereitet hatte, endlich einmal – richtig – zu lernen, mir verschiedene Voicings in unterschiedlichen Tonarten herausgesucht, denn ich hatte gehofft, dass sich mir, wenn ich die Melodie zusammen mit den Harmonien (dazu die „Voicings“) spielte, halbwegs im Takt, die rhythmische Gestalt von „Lover Man“ genügend einprägen würde, sodass ich dieses Stück in mein Repertoire aufnehmen und es an anderen Vormittagen in der Küche locker und endlich vollständig herunterklimpern würde können. Das ist nicht ganz leicht, erfordert Konzentration, und als letzere nachließ, ich es für einen Moment aufgegeben hatte, mich dieser Übung mit der nötigen Gewissenhaftigkeit hinzugeben, spielte ich plötzlich „dum-tscha, dum-dum-dum-zscha, dum-dum-tscha“ … Erst als ich so vor mich hinklimperte, stellte ich fest, dass es sich im Grunde um dieselben Harmonien, dieselbe Struktur handelte, und so kam ich auf die Idee, Lover Man im Soul-Stil zu arrangieren.

Folglich experimentierte ich über Monate in unregelmäßigen Abständen mit den Akkorden, probierte herum, was sich mit dem Tonmaterial des Refrains bzw. des „Zwischenteils“ anstellen ließ: Erst alles verkomplizieren, dann wieder vereinfachen und sehen, wo ich lande. Dies ist eine mögliche Herangehensweise, doch meist verliere ich dabei die Progression, von der ich ausgegangen war, aus den Augen, sodass die „Vereinfachung“, die sich dann nicht mehr vermeiden lässt, sich oft ziemlich trivial darstellt und mit der Grundstruktur, die ich hatte ausgestalten wollen, so gut wie nichts mehr zu tun hat. Eine anderes Vorgehen wäre es, sich die harmonische Struktur insgesamt vorzunehmen und zu schauen, auf welche Weise sie sich dadurch, dass ich versuche, sie auf irgendeine Weise zu reharmonisieren, imitieren lässt, auch wenn dies ziemlich radikale Maßnahmen bedeuten kann, etwa, nur um ein willkürliches Beispiel zu wählen, alle Moll-Akkorde durch Dur-Akkorde und alle Dur-Akkorde durch Moll-Akkorde zu ersetzen. Solches Vorgehen, solche Experimente sind interessant, aber ziemlich anspruchvoll, als große Vorbilder wären hier John Coltrane, und, weniger bekannt, Steve Coleman (dessen System ich nicht ganz begriff) zu nennen. Es ist natürlich anmaßend, dergleichen zu behaupten, aber darauf lief in gewissem Sinne, was ich schließlich versuchte, letztlich hinaus, dazu später mehr. Aber ist es, angenommen, ich bliebe beim Notentext, überhaupt möglich, diese typische chromatische, absteigende Linie in Moll auf der Gitarre so zu realisieren, dass es nicht gezupft nach Folk oder Country klingt, also steif und zu sehr nach Spieltechnik? Überhaupt, das mit dem 6/8-Takt würde in der Band richtiggehend eingeübt werden müssen, und das kam eigentlich nicht infrage. Zu versuchen, etwas zu finden, was zur Melodie, zum Gesang passen würde, schien von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Ich hatte überhaupt kein Gefühl für diese Stelle, was natürlich auch daran lag, dass ich den Refrain nicht befriedigend im Jazz-Idiom spielen kann, und wenn ich versuche zu singen, muss ich zufrieden sein, wenn mein „Pitch“ einen Viertelton daneben liegt, also genau zwischen zwei Halbtönen.

Es passte also nichts zusammen. Auf der einen Seite diese leidige Soul-Idee, dazu Billie Holday im Kopf mit ihren abenteuerlichen Intervallsprüngen (nun zwar nicht gerade bei Lover Man), für die ich sie so sehr liebe, auf der anderen Seite ich mit diesen Harmonien, die ich ausprobierte und einfach nicht zum Klingen zu bringen vermochte – und meinem kehligen Gebrummel, welches den Gesang repräsentieren sollte. Aber kommen nicht dann immer, oder jedenfalls oft, besonders im Blues und im Jazz, diese Interludes von irgendeinem Instrument zwischen den Strophen gespielt? Natürlich, es ist so, ich spielte jedenfalls einfach drauf los. Und, da! – hatte ich plötzlich diese sequenzierte, einfache, aus drei Tönen bestehende Phrase mit anschließender, absteigender und einmal variierter Blues-Linie. Ja, das fühlte sich nach Blues an, hatte zwar nichts mit der Melodie zu tun. Aber, das könnte gehen!

Absurderweise stellte diese wirklich einfache Phrase sich als für mich schwierig zu harmonisieren heraus. Es zeigte sich jedoch, ich brauchte nur lange genug herumzuprobieren, bis hinreichend einfache Voicings bzw. Harmonien herauskamen, eine Variante jedenfalls schien hinzuhauen.

Diesmal schrieb ich´s auf. Was eigentlich die Probe, ob es auch wirklich klingt, hatte sein sollen, nämlich die Harmonien plus Melodie in den PC zu hacken, erwies sich weniger als einfaches Ausprobieren: na?, klingt das nun oder nicht?, sondern brachte neue Probleme, denn tonsetzerisch verfuhr ich recht willkürlich. Wie auch immer, der Computer lief ja bereits, der Zettel war noch nicht vollgeschrieben, ein Stift lag bereit, die Gitarre war noch in der Küche, ich begab mich also wieder nach drüben und fuhr fort, mit anderen, kompliziertern Harmonien zu zu experimentieren. Hier das Ergebnis:




Ich finde immer den graphischen Aspekt von aufgeschriebener Musik faszinierend. Genau zu sagen, warum, fällt mir schwer. Ich weiß nicht mehr genau, war es pussyimploder, der einmal, was diesen graphischen Aspekt von Musik angeht – besonders interessant ist dann natürlich graphische Notation -, Nelson Goodmans Buch Sprachen der Kunst empfahl? Das wäre eigentlich mein Buch, ich bin aber noch nicht dazu gekommen, mich intensiver damit zu beschäftigen.

Hier also endlich ist zu sehen, wie das Ergebnis dessen, dass ich eigentlich lediglich ausprobieren wollte, ob das auch klingt, auf dem Computer aussieht:





Am Ende spielte ich dann jedoch mehr mit dem Programm herum, das einem auf einmal unerwartet viele Möglichkeiten bietet. Vor allem: „der Keyboarder“ z.B. spielt einfach alles, was du ihm aufträgst zu spielen! Jetzt stellen sich Fragen des Tonsetzerischen, weil nun auf einmal so viele Möglichkeiten sich bieten. Und da war ich kein Kind von Traurigkeit!

Ich gestehe es also ein, das Ergebnis ist grenzwertig, besonders die Harmonien in Kombination mit der Melodie. Aber so wollte ich es ja. In gelb sind die Harmonien zu sehen, und links oben ist zu erkennen, dass die relativ einfachen Moll 7 und Moll 9 Akkorde sogar eine einigermaßen strukturierte Oberstimme ergeben. Dass das so sein würde, oder könnte, bemerkte ich, und konnte so gewisse strukturbildende Prinzipien ableiten und anwenden. Bei den (alterierten) Dominantseptnonenakkorden usw. wurde es bereits schwieriger und ich „komponierte“ ziemlich drauflos (ungefähr mitte-rechts). Beim letzen Teil handelt es sich wieder um eine mehr oder weniger konventionelle Kadenz. (Btw., ich ende auf A6. Das Stück geht wieder mit F# Moll 9, der Mollparallele von A, los, kann man also immer im Kreis hören.) Einfach irre, wie leicht sich die verrücktesten Dissonanzen herstellen lassen, da kommen Allmachtsphantasien auf! Ich habe aber bereits die eklatantesten Schwachstellen identifieziert, z.T. nachgebessrt (das Gis im letzten Drittel in der Oberstimme z.B. ist einfach ne Nummer zu hart), und an einigen Stellen ergeben sich fast genau solche Reibungen, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Besonders dort, wo ich die Blues-Phrase (die blauen Vierecke) in die mittlere Lage transponierte. Rot sind die Basstöne, die ich probehalber hinzugefügt habe. (In einem Takt ist es ein falscher Basston, wie ich eben gerade auf dem Bild entdecke.) Insgesamt muss ich feststellen, dass die Harmonien nur bedingt zu der Phrase passen. Und dort, wo ich lange genug auf der Gitarre ausprobiert hatte, damit es auf diesem Instrument klang (die erste Idee mit den einfacheren Akkorden), ließen sich die Akkorde auch leichter tonsetzerisch umsetzen. Was die mehr theoretischen Ansätze betrifft, auf der Gitarre praktisch unspielbar, so zeigte sich dafür umso mehr am Compuer, welche Herausforderung sie für mich als „Tonsetzer“ darstell(t)en.

Wirklich fast rein zufällig haben die grünen Vierecke, die sich mittig um die Horizontale verteilen, ihren Weg in diese Graphik gefunden. (Die weiter oben in der Nähe der blauen Vierecke gehören zur „Melodie“ bzw. der einfachen, ursprünglich als Interlude konzipierten Phrase.) Da ich fand, dass ein Schlagzeug vielleicht nicht fehlen sollte, nahm ich die Kalvierstimme, für die ich das Blues- bzw. Soul-Riff gesetzt hatte, und kopierte sie kurzerhand in die Schlagzeuspur. Was soll ich sagen, das klang natürlich großartig!

PS: „Lover Man“ von Billie Holiday gibts bei YouTube nur mit ProxTube, GEMA, blablabla usw. …

Parker war mit keiner der beiden Aufnahmen zufrieden. Bei der einen handelt es sich um den späten, bereits sehr kranken Charlie Parker. Die Aufnahme mit dem Streichorchester, ich glaube, auch eher spät aufgenommen, hatte er sich ebenfalls anders vorgestellt.

(ed. bei jener erwähnten Phrase handelt es sich um die Septime der Dur9-Parallele der Mollsubdominante, der des Dominantnonen-Akkords plus möglichst laut gespielter Tonika nach Möglichkeit im Blues-Modus anstelle des Major-Akkords, was meine allererste Idee an dieser Stelle gewesen war, wie ich jetzt herausfand. ach, ich liebe dieses Experimentieren, denn ei n Experiment ist es immer, wenn ich mit Harmonien etwas anzustellen versuche – Fehler, Selbstmissverständnisse werden sich wohl immer wieder einschleichen und zu weiterem Suchen anregen!)



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